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Anerkannt und nicht verkannt – „Gastarbeiter“ war gestern
Anerkannt und nicht verkannt – dank Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz
Stellen Sie sich einmal folgendes vor: Sie haben eine gute, qualifizierte Ausbildung genossen. Auf Grund mangelnder Perspektiven in Ihrem Heimatland migrieren Sie nach Deutschland. Dort verrichten Sie lediglich Aushilfsjobs und werden „Gastarbeiter“ genannt. Viele Jahrzehnte später erklärt Ihnen Ihr Enkel, dass es ein sog. „Berufsqualifikationsfeststellungsgesetz“ (BQFG) gibt. Wahrscheinlich verstehen Sie jetzt als Leser nur Bahnhof.
Meinem Großvater erging es so, als er in den 1960er Jahren der Arbeit wegen nach Deutschland zog. Zu der Zeit war es gleich, welche fachlichen Qualifikationen man mitbrachte. Das hat sich nun geändert. Im Jahr 2012 verabschiedete der Deutsche Bundestag mit den Stimmen fast aller Fraktionen die deutsche Fassung der EU Anerkennungsnovelle. Dieses Gesetz sollte dem drohenden Fachkräftemangel begegnen und war für seit längerer Zeit in Deutschland lebende Migranten konzipiert. Die Flüchtlingsbewegung 2015ff war zu dieser Zeit noch kein Thema.
Zur kurzen Einordnung: Das Anerkennungsgesetz definiert zwei Gruppen von Berufsqualifikationen, solche die anerkannt werden müssen, reglementierte Berufe wie alle Gesundheits- und Erziehungsberufe und Handwerksmeister. Berufe im dualen Ausbildungssystem der Kammern unterliegen keiner Pflicht zur Anerkennung. Eine Berufsanerkennung empfiehlt sich aber, da bei Bewerbungen Chancengleichheit vorliegt, das Diplom aus dem Ursprungsland mit einem deutschen Äquivalenz Beruf vergleichbar ist und Aufstiegsfortbildungen möglich sind, wie zum Handelsfachwirt usw.
Im Folgenden möchte ich mich weniger mit der Theorie auseinandersetzen, sondern Ihnen praktische Handlungshilfen geben. Kurz Vorweg: Die meisten Berufsanerkennungsverfahren finden in den reglementierten Berufen statt, so im Gesundheitswesen (ca. 20.000 in 2018) Kaufleute für Büromangement, Mechatroniker und Elektriker sind die Berufe welche am meisten bei den nicht reglementierten Berufen anerkannt werden (ca. 1.700 in 2018).
Das Verfahren an sich ist einfach erklärt, ich zeige nun die Unterstützungsinfrastruktur auf.
Der erste Schritt ist der Anerkennungsfinder. Sie finden diesen auf dieser Website: www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/fachkraefte.php. Dort gibt man den gewünschten Beruf ein, bekommt das deutsche Äquivalent aufgezeigt und auch die betreffende Anerkennungsstelle. Bestimmte Berufe werden lokal anerkannt, z.B. diejenigen im Gesundheitswesen, andere wie die dualen Ausbildungsberufe der IHKen zentral. (Eine Ausnahme besteht für Wuppertal und Hannover, dort ist die jeweilige Kammer vor Ort für das Anerkennungsverfahren zuständig).
Die zentrale Stelle für die IHKen ist die IHK FOSA in Nürnberg (www.ihk-fosa.de/). Auch dort erhält man alle gewünschten Infos und die Anträge. Benötigt werden für das Anerkennungsverfahren alle Dokumente der beruflichen Qualifikation, übersetzt und beglaubigt. Die deutschen Anerkennungsstellen vergleichen die Inhalte des gelernten Berufes mit denen des deutschen Äquivalenzberufes, die Vergleichsgrundlage ist immer die aktuelle Ausbildungsordnung des Berufes. Bei einer Übereinstimmung der Inhalte des ausländischen Berufes, wird das Diplom dem deutschen Abschluss gleichgestellt.
Bei Abweichungen wird festgehalten in welchen Bereichen es diese gibt und wie diese Lücken durch Schulungen geschlossen werden können. Dies heißt Teilanerkennung. Die meisten Qualifikationen sind solche aus osteuropäischen Ländern und die Nationalität der meisten Anerkennungssuchenden ist…. deutsch. Ja richtig gelesen. Viele der Migranten welche am Berufsanerkennungsverfahren teilnehmen haben die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
Natürlich existieren im Ausbildungsniveau der Länder starke Unterschiede. Werfen Sie doch einmal einen Blick in die Inhalte syrischer Ausbildungsberufe. Das Institut der deutschen Wirtschaft sammelt diese in seinem BQ Portal, wo aus vielen Ländern das Ausbildungs- und Berufssystem dargestellt wird und die Lehrinhalte einzelner Berufe transparent gemacht werden. Überzeugen Sie sich selbst: www.bq-portal.de/db/L%C3%A4nder-und-Berufsprofile.
Zugegeben, wir in Deutschland haben mit dem dualen System etwas Besonderes geschaffen, das es so vergleichbar nur in wenigen Staaten dieser Erde gibt. Gesundheitspflegekräfte aus Südeuropa z.B. absolvieren ein Studium – während dieser Beruf in Deutschland ein dualer Ausbildungsberuf ist.
Die Kosten des Verfahrens betragen mehrere Tausend Euro. Denn neben den allgemeinen Gebühren der Kammer (600,-€) kommen Übersetzungs- und Beglaubigungsgebühren dazu. Die Kostenübernahme ist nicht einheitlich geregelt. Die Bundesagenturen für Arbeit können Teile davon übernehmen (Regelkreis SGB II und SGB III). Es gibt zudem einen bundeseinheitlichen Zuschuss, zudem bieten einzelne Bundesländer Fördertöpfe an.
Der Antrag für den Bundeseinheitlichen Zuschuss ist hier einsehbar: www.anerkennung-in-deutschland.de/html/de/anerkennungszuschuss.php Unternehmervertreter werden durch das von DIHK und HWK getragene Projekt „Unternehmen Berufsanerkennung“ voll unterstützt www.unternehmen-berufsanerkennung.de/ Arbeitnehmervertreter dürfen sich an das Projekt des DGB Bildungswerks e.V. wenden www.dgb-bildungswerk.de/migration/anerkannt. Und für die Anerkennung von akademischen Berufen ist die Kultusministerkonferenz (KMK) zuständig.
Um sich gegen einen abgelehnte volle Anerkennung der ausländischen Qualifikation zu wehren, ist ein Gang zum Verwaltungsgericht notwendig, da es sich beim Spruchkörper der Anerkennungsstelle um eine Körperschaft des öffentlichen Rechts handelt. Die Inhalte betreffen zwar Arbeitsbeziehungen, aber die zuständige Stelle ist nicht der Arbeitgeber.
In Betriebsvereinbarungen können transparente Regeln getroffen werden, in wie fern der Arbeitgeber auf kollektivvertragliche Unterstützung anbietet und in welcher monetären Höhe. Es bleibt festzuhalten, dass es für Hunderte Berufe auch sehr viele Anerkennungsstellen gibt, bundesweite, wie für die IHKen und regionale für Handwerksberufe oder lokale für Gesundheitsberufe. Ebenso können nicht alle Berufsqualifikationen aus dem Ausland in Deutschland anerkannt werden – je mehr der Beruf in die Staats- und Wirtschaftsordnung eines Landes verwoben ist, desto aussichtsloser sind die Chancen. Ein syrischer Rechtsanwalt wird seine Qualifikationen an einer hiesigen Rechtsanwaltskammer nicht anerkannt bekommen – zu unterschiedlich sind syrisches und deutsches Recht. Bei einem Rechtsanwalt aus Österreich schaut es dagegen anders aus. Polizisten aus anderen Ländern haben lediglich die Chance auf eine Teilanerkennung ihrer Qualifikationen. Zu restriktiv sind hier die einzelnen Landesgesetze. Die Leistungen des syrischen Rechtsanwaltes werden dagegen für eine Ausbildung zum Rechtspfleger o.ä. angerechnet.
In Zeiten von Fachkräftemangel sind ausländische Fachkräfte für die hiesige Wirtschaft ein Gewinn. Motiviert, mit Fremdsprachenkenntnissen und im Besitz interkultureller Kompetenz bereichern sie den Betrieb.
Ich hoffe, Sie haben einen Überblick über den Ablauf eines Anerkennungsverfahrens für ausländische Qualifikationen gewinnen können. Bei Rückfragen stehe ich Ihnen gerne zur Verfügung. Viel Erfolg und Glück Auf!
27.05.2020
Diplom-Betriebswirt (DH) René Schindler
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