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Chancen aus der Krise nutzen. Wie wir durch die Corona-Krise zu Wachstum kommen
Die Coronakrise hat verheerende Auswirkungen auf unsere Wirtschaft. Volkswirtschaftliche Auswirkungen werden als lang andauernd eingeschätzt. Viele Branchen sind betroffen. In diesem Beitrag soll auf die wirtschaftspsychologischen Aspekte eingegangen werden. Im Vordergrund stehen dabei der Umgang mit Krisen und die Möglichkeit menschlichen Wachstums nach Krisen. Eine Betrachtung durch die Brille der positiven Psychologie.
Aus heiterem Himmel ist COVID-19 über uns hineingebrochen. Die Krise betrifft Privatpersonen, Unternehmen, Branchen, Länder und Kontinente. Sie tangiert Altersgruppen in unterschiedlicher Art. Wir fühlen uns nicht nur durch die wirtschaftlichen Folgen bedroht. Jeder von uns ist den täglichen, unsichtbaren Gefahren von COVID-19 ausgesetzt, COVID-19 existiert weiterhin und ist gefährlich dynamisch, wie die Hot-Spots Göttingen und Gütersloh gerade aktuell zeigen.
Auch wenn immer wieder seitens Experten mit einem Pandemieszenario gerechnet wurde. Am Ende fehlten Masken, medizinisches Desinfektionsmittel sowie Mechanismen in einer Wirtschaft, die alles kann, zum Mond fliegen, selbstfahrende Autos produzieren und mehr. Und doch nicht gerüstet ist. Wir beobachten aber auch nach dem Lockdown und dem Wiederhochfahren der Wirtschaft Leichtsinn, mangelnde Vorbilder und zu schnellen Rückfall in alte Gewohnheiten.
Die Auswirkungen sind von der COVID-19-Krise sind von vielen Experten beleuchtet worden. Volkswirtschaftlich, betriebswirtschaftlich, juristisch, medizinisch. Die hier dargelegte Betrachtung erfolgt aus der Sicht eines wirtschaftspsychologischen Ansatzes. Sie setzt den Fokus auf Chancen und Stärken. Die Risiken und Schwächen einer in der Betriebswirtschaftslehre üblichen SWOT-Analyse werden hierbei nicht betrachtet. Der Beitrag ist stark geprägt von der positiven Psychologie und Ökonomie. Es geht um die Nutzung von Stärken und deren Ausbau. Berücksichtigt werden Erkenntnisse über den Umgang mit traumatischen Ereignissen und Erfahrungen aus der Betrachtung von Krisen und deren Verlauf. Im Mittelpunkt stehen menschliches Verhalten und die Notwendigkeit richtiger Vorbilder und Führung, um die Chancen zu nutzen, die Veränderungsprozesse mit sich bringen. Führung, die verantwortlich unternehmerisch und nachhaltig sowie unter Achtung der im Unternehmen tätigen Menschen notwendige Change Management Prozesse aktiv managt.
Kommen wir zunächst auf das Thema Chancen und Stärken
Betrachten wir, welche Chancen die Krise mit sich bringt. Zum einen können wir Lernprozesse erkennen. Von einem Tag auf den anderen musste aus dem Home-Office gearbeitet werden. Führungskräfte und Teammitglieder konnten sich darauf nicht vorbereiten. Kongresse und Meetings fielen aus, Reisen zu Kunden und Veranstaltungen wurden ersatzlos gestrichen. Schule und Hochschule mussten digital umgestellt stattfinden. Monatelang sind Mütter und Väter Doppelbelastungen ausgesetzt, manche Branchen sind vermehrten Risiken ausgesetzt, wie im Krankenhaus oder in Supermärkten. Krankenhäuser mussten nach dem Prinzip der Notwendigkeit der Versorgung von COVID-19 Erkrankten und nicht nach rein ökonomischen Prinzipien agieren.
An dieser Stelle sollen die bedauerlichen und für nicht wenige existentiellen Auswirkungen auf Arbeitsplätze, der Wegfall von Jobs für Studierende, die vielen Kurzarbeiter und weitere Verluste von sicheren Jobs in Luftverkehr und Automobilindustrie, in Gastronomie und andern Branchen sowie die Folgen für Selbstständige und gering Verdienende gewürdigt werden. Ebenso soll denen gedankt werden, die besonders hohen Risiken ausgesetzt waren, um anderen zu helfen oder andere zu versorgen. Hier heißt es, inne halten und auch Mitgefühl zu zeigen, Möglichkeiten nach alternativer Beschäftigung zu öffnen, weg von Denken in Branchen, Offenheit gegenüber anderer Sichten entwickeln.
Doch zurück zu den Chancen. Plötzlich funktioniert digitales Arbeiten. An vielen Stellen. Es kommt zu einem Engagement von Mitarbeitenden, das plötzlich auf Selbstorganisation beruht und dem ein oder anderen je nach Persönlichkeit entgegen kommt. Ein Flow entsteht an vielen Stellen, ein Flow aus Eigeninitiative und Selbstorganisation. Es gibt auch vielerorts mehr kollegiales Miteinander, mehr Chefs, die sich einmal bedanken für Ergebnisse und Leistungen. Gute Führung bewährt sich gerade in Krisenzeiten. Vertrauen kann wirken. Dazu ein digitaler Schub für Deutschland, der unter normalen Umständen nicht möglich gewesen wäre. Chancen für neue Geschäftsfelder, Arbeitswelten und Geschäftsmodelle ergeben sich. Möglichkeiten, neue und andere Kundenbeziehungen aufzubauen, sich auch in Versorgungsketten anders zu organisieren.
Nachdenken, reflektieren. Wollen wir so arbeiten und leben wie bisher?
Wie ist mein eigenes Konsumverhalten? Wie steht es um die Nachhaltigkeit? Will ich für 39 € in einem engen Flieger für ein Wochenende nach Venedig fliegen, muss ich das? Kann ich Arbeit und Privates besser und effektiver unter einen Hut bringen? Wie verbinde ich die notwendigen Säulen eines gelungenen Lebens, die aus Arbeit, Familie, Selbstverwirklichung, Gesundheit und Beziehungen bestehen.
Fragen nach der Funktionsweise von Branchen, neuen Bedürfnissen und zukünftigen Ertragsmodellen stellen sich. Ist das Gesundheitswesen nach rein ökonomischen Bedingungen richtig aufgestellt? Wie steht es um Bildung, Erziehung und Soziales?
Dazu die Wiederentdeckung des Wertes Familie und des Wortes Sinnerfüllung. Wofür arbeiten wir? Was treibt uns an? Bei allen Belastungen durch die Enge der letzten Wochen und Monate ist für viele die Bedeutung der Familie als Quelle der Stärke wieder in den Fokus gerückt. Auch die Bedeutung von Menschen in unserem Umfeld, seien es Arbeitskollegen, Freunde und Nachbarn ist uns wieder klarer vor Augen geführt worden. Die Versorgung der Älteren in der Krise, auch das eine Erkenntnis, auch digitale Besuche bei Oma und Opa haben digitalen Schub mit sich gebracht.
Soziale Unterstützung ist in der Wirtschaftspsychologie ein essentieller Begriff. Wir haben sie gerade intensiv geübt. Privat, unter Kollegen, auch gegenüber Kunden. Gelingt uns das mehr im Arbeitsleben, bedeutet das einen erheblichen Schub für Motivation und Produktivität. Studien belegen, dass soziale Unterstützung durch Kollegen und Vorgesetzte ein wesentliches Vorsorgeinstrument gegen Burn-Out ist.
Welche Stärken haben wir also gezeigt? Zunächst einmal den Willen, zu überleben, angetrieben aus einem Willen, es kommt auch eine Zeit danach. Auch Respekt voreinander, Vorsicht und Umsicht, Hilfe für andere, Demut vor dem Virus, aber auch Selbstorganisation, Teamgeist, Fürsorge, soziales Miteinander. Digitales Selbstlernen, Pannen die erfrischen, Fehler die passieren, die da sind zum Lernen. Stärken wie Engagement, Lernbereitschaft, Flexibilität, Kollegialität, Motivation und Ergebnisausrichtung an der Sache. Keine Zeit für sinnlose Konflikte mit anderen um Zuständigkeiten und keine Zeit zum Profilieren auf unnötig langen Meetings. Eine neue Fehlerkultur könnte Einzug nehmen, die da heißt Fehler sind da, um zu lernen und zu wachsen. Manche Auswirkungen der Krise sind aus Fehler in Wirtschaft und Gesellschaft entstanden. Hier kann gelernt werden.
„Aus typischen Krisenverläufen ist bekannt, dass wir zunächst ohnmächtig und gelähmt sind. Irgendwann in der Kurve kommt die Annahme der neuen Situation und das Akzeptieren des Neuanfangs.“
Führung ist mehr gefragt denn je. Führung, die positive Beziehungen herstellen kann, die unterstützt, die Sinn vermittelt, darin liegt die Zukunft. Führung, die Kraft gibt, die diese Stärken fördert, wie Eigeninitiative, Selbstorganisation, soziale Unterstützung, Teamgeist.
Wenn also der einzelne, trotz vieler Schicksale wirtschaftlicher und gesundheitlicher Art, den Neuanfang akzeptiert, dann kann dieser unter einer geeigneten Führung zu neuem Flow führen.
Aus der Traumaforschung ist bekannt, dass 60 – 80 % der Menschen, die eine Krise erlebt haben, danach zu höherem Wachstum kommen als vor der Krise. Nehmen wir also an, die Mehrheit von uns wächst nach der Krise, so kommen wir gemeinsam wieder zu menschlichen, persönlichen und ökonomischen Wachstum. Dafür bedarf es der Vorbilder und Führungspersönlichkeiten. Stärken und Chancen fördern, den Willen vieler nutzen, und eine Veränderung einleiten, die die Welt sogar besser werden lässt als vorher, das ist eine Vision, die uns stark in die nächsten Jahren gehen lässt. Visionen brauchen starke Führungskräfte. Solche, die Betriebswirtschaft und psychologische Aspekte menschlicher Motivation und Begeisterung verstehen. Die sehen, dass der Haupttreiber wirtschaftlichen Erfolgs, wie in vielen Studien im Bereich positive Leadership von Kim Cameron gezeigt, positive Führung ist. Das hier von Martin Seligmann erarbeitete PERMA-Modell der positiven Psychologie umfasst u.a. positive Beziehungen, Engagement, Sinn und Bedeutung sowie Leistung und Zielerreichung.
Dies fängt bereits mit der Zeit nach der Krise an. Führungskräfte, dies gilt für Wirtschaft und Politik, die Abstände und Mundschutz belächeln und sich eng beieinander ablichten lassen in Politik- oder Wirtschafts-PR sind keine positiven Leader, sondern haben nichts gelernt aus der Krise.
Wir brauchen positive Leader, die Sinn stiften, Menschen in den Flow bringen. Die es schaffen positive Visionen und Hoffnung zu vermitteln, Dankbarkeit zeigen und andere begeistern. Die Wertschätzung und Authentizität vermitteln. Dann wachsen Wirtschaft und Profitabilität sowie Kundenzufriedenheit. Dann lassen sich Krisen meistern und wir kommen zu neuen Höhen. Und die brauchen wir wieder.
30.06.2020
Birgit Ohlsen-Goronzy
Über die Autorin…